In Principio erat Neutrino …

Wann hat man je die Gelegenheit einem Nobelpreisträger eine Frage zu stellen? Ich hatte sie. Arthur B. McDonald war in Wien und hat einen öffentlich zugänglichen Vortrag im prachtvollen Festsaal an der Akademie der Wissenschaften über sein Forschungsthema gehalten, den Nachweis, dass Neutrinos Masse haben (Nobelpreis Physik 2015). Diese Neutrinos, so sagt er, standen am Anfang der Welt, ja, bildeten sie.

Gut, denkt der Laie, wozu dient diese Erkenntnis? Diese Frage scheint McDonald nicht unbekannt. Mehrmals sagt er, dass mit den Neutrinos quasi die Welt begann. Und in der Folge hätten sich Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff entwickelt, die auch unsere Hauptbestandteile als Menschen ausmachen. Wie, darf ich, der Laie, ihn also fragen, geschah es dann, dass aus diesen Grundbausteinen die uns bekannte Welt, ja sogar, dass wir selbst als Menschheit daraus wurden? Seine kurze Antwort: indem zwei Neutrinos zusammenstießen und Materie bildeten. Ok, auch der berühmteste Teilchenphysiker unserer Zeit kann also nicht sagen wie aus Materieteilchen Leben wurde. Ebenso mußte er auf die Frage eines anderen Zuhörers was denn vor dem Urknall gewesen sei, passen. Damit müssen wir, wir Laien, uns wohl abfinden.

Das soll uns aber nicht davon abhalten einen Blick in die faszinierende Welt der Teilchenforschung zu werfen. Die erkennbare Materie im Universum mache nur 4% des Ganzen aus, die dunkle Materie 26% und die dunkle Energie die restlichen 70%. Das zumindest sagt das derzeit gültige Standardmodell der Elementarteilchenphysik, das von der Theorie eines Urknalls ausgeht, der Stunde Null.

Nach dem Urknall wurde demnach eine unvorstellbar große Menge an Energie frei in unvorstellbar hoher Temperatur, drei Sekunden nach dem „Knall“ war das. Und dann begann die Ausdehnung und damit Abkühlung. Es bildeten sich „Wolken“ von Neutrinos und es entstanden weitere Teilchen. 300.000 Jahre später sei es soweit gewesen, dass es die ersten erkennbaren Lichtteilchen gab, Elektronen, die bereits um den Faktor 1 Million größer als Neutrinos sind. Das im Weltraum schwebende James Webb Teleskop kann die infrarote Strahlung aus dieser Zeit erkennen. Die blau-roten „Nebel“, die aus den eingefangenen Daten rekonstruiert werden (findet man im Web) zeigen das Universum 300.000 Jahre nach seiner Entstehung, nicht ganz, aber immerhin 1 Million Jahre danach, die Temperatur war dann schon auf Minus 200 gesunken. Insgesamt habe das Universum bis dato ein Alter von 13,81 Milliarden Jahre erreicht (neuere Theorien weisen auf 1 Milliarde weniger hin). Genügend Zeit offenbar um stets an Komplexität zuzunehmen. Am Anfang stand jedoch das Neutrino, so der Schöpfungsakt aus der Sicht der Teilchenphysik.

Was also sind diese Neutrinos, aus denen die 4% sichtbare Materie des Universums hervorgingen? Es sind elektrisch neutrale Elementarteilchen mit sehr, sehr geringer Masse. Elektrisch neutral heißt so viel wie: „sie tun nichts“. Erst durch die Interaktion werden sie sozusagen „lebendig“.

Wie und wo kann man sie nachweisen, sind sie doch mit 10 hoch minus 18 Metern so klein, dass sie jegliche Materie nahezu unbeeindruckt durchdringen können, ja, sogar den ganzen Erdball? Denn es gibt sie noch immer, aus dem Kosmos, von der Sonne, aus der Erdatmosphäre, aus dem Erdinneren, aus Kernreaktoren und aus den Teilchen-Beschleunigern. Um sie zu finden haben sich Wissenschaftler aus der ganzen Welt zusammengetan und raffinierte Konstruktionen ersonnen, in Japan, in China, in den USA, in Indien und im Weltraum. Es gibt diese höchst aufwendigen Untersuchungsstationen, die mit jeweils anderen Materialien gegenüber Störfaktoren abgeschirmt sind, zB in riesigen, hunderte Kilometer langen Empfangsstationen in der Wüste, ultraclean in 2 Kilometer Tiefe (zB https://www.snolab.ca/), im Weltraum und im Eis der Antarktis.

Die Neutrino-Forscher sind also tatsächlich „dem Anfang“ auf der Spur. Was vor dem „Anfang“ war? Man weiß es nicht. Wie aus einer Handvoll Grundbausteinen Berge, Wasser, Bäume, Fische, Saurier, Schlangen, Schildkröten, Vögel, Affen, Gelsen und Menschen wurden? Man weiß es nicht. Zumindest wenn man Elementarteilchenphysiker ist.

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Nachtrag:
Fachleute mögen mir bitte verzeihen wenn ich etwas falsch wiedergegeben habe. Ich habe versucht das Gehörte in verständliche Form zu bringen.

Weiterführend:
Gravitationswellen-Detektoren können noch näher zum Urspung „sehen“ https://www.ligo.caltech.edu/page/ligos-ifo
https://science.orf.at/stories/3221031/
https://www.youtube.com/watch?v=HBqcYv473RQ&list=PLPpNV2SkU5obz9p0Gp7GY-rs1TUEJ46Qd&index=2

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