Besinge den Zorn …

Μῆνιν ἄειδε θεὰ Πηληιάδεω Ἀχιλῆος
οὐλομένην, ἥ μυρί’ Ἀχαιοῖς ἄλγε’ ἔθηκεν
πολλὰς δ’ ἰφθίμους ψυχὰς Ἄιδι προίαψεν …

Mit diesen Versen beginnt die Ilias des Homer, eines der ältsten literatischen Zeugnissen der Menschheit:
Den Groll singe, Göttin, des Peleus-Sohnes Achilleus,
den zugrunde richtenden, welcher den Achaiern unzähliges Leid brachte
und viele lebenskräftige Seelen dem Hades zuschleuderte …

Ich habe diesen Text im Gymnasium in aller Mühsal übersetzt und gedacht habe ich mir nicht viel, höchstens, dass es da um einen Helden geht, der gerechten Zorn verspürt, ein Vorbild. Die Zeile, dass dieser Groll so vielen Menschen „unzähliges Leid“ brachte, habe ich ausgeblendet. Tatsächlich war dieser Zorn in der Ethik der Griechen dieser Zeit nichts Verwerfliches, ja nahezu etwas Heiliges, das im Nachhinein gerechtfertigt war, wenn man gesiegt und Rache genommen hatte, denn dann waren ja die Götter auf der eigenen Seite und haben das Handeln legitimiert. Ich habe das erst kürzlich nachgelesen, im ausgezeichneten Vorwort zu meiner Schul-Ilias-Ausgabe von Hölder-Pichler-Tempsky aus dem Jahr 1958, das bis dato nicht gelesen hatte, ein halbes Jahrhundert wartete es auf mich. Im übrigen lautete unsere Übersetzung damals „besinge den Zorn“ also gleichsam etwas Lobheissendes des Homer. Neuere Übersetzungen sehen hingegen das verborgene kritische Potential: erzähle über den Zorn, …., der so vieles Leid brachte. Das ist etwas ganz anderes, oder?

Im ersten Moment denkt man wohl, Achilles maßloser Zorn entspräche der Ethik einer längst vergangenen Zeit, wir wären heute doch viel weiter, wir haben Menschenrecht und Völkerrecht. Aber ist das wirklich so? Wenn wir die Äußerungen der derzeitgen Kriegsparteien in Europa betrachten, sind da erhebliche Zweifel angebracht.

Das Gebot „Du sollst nicht töten“ ist wohl allen heute vorherrschenden Religionen gemeinsam. Im Buddhismus ist es kein Gebot, sondern eine Empfehlung, deren Einhaltung von niemandem bestraft wird, aber das eigene Wohlergehen massiv beeinflußen kann. Und es geht noch weiter: „nicht töten“ heißt dort, das Lebendige zu fördern, sich zum Leben zu bekennen, und zwar in weit reichender Form.

Die Zen Lehrerin Fleur Sakura Wöss hat dazu kürzlich einen, wie ich meine, sehr wichtigen Vortrag gehalten. Ihr könnt ihn hier nachhören.

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